
Die Harmonie von weiblichen und männlichen Prinzipien
Viele Menschen, die (Selbst-)Verantwortung tragen – ob im Job, im familiären Alltag oder Freitzeit – erleben in ihrem Wirkungskreis oftmals eine leise Spannung. Im Rahmen Ihrer Funktion wird oftmals Zielstrebigkeit, Struktur und Durchsetzungsstärke verlangt. Doch bestmöglich kann man wirken, wenn zur Klarheit der Aufgabe auch persönliche Tiefe kommt. Wenn neben der strategischen Entscheidung auch dem Gefühl Raum gegeben wird. Wenn zum ausgeklügelten Plan auch eine persönliche Verbindung besteht. Dieses Spannungsfeld ist oft kaum greifbar, zeigt sich aber auf der körperlichen und emotionaler Ebene auf verschiedene Weise: in Erschöpfung, innerer Unruhe oder im Gefühl, immer stärker zu funktionieren, statt zu gestalten. Was uns fehlt, ist Balance!
Die Weisheit alter Traditionen lehrt uns dass, zwei Pole im Einklang sein müssen, damit ein harmonisches miteinander gelingen kann. In der östlichen Philosophie begegnet uns diese Idee als Yin und Yang – zwei Kräfte, die sich ergänzen, nicht ausschließen. Im Schamanismus gilt die Vorstellung der Ganzheit als heilsam: Erst wenn das männliche und das weibliche Prinzip in uns in Einklang stehen, sind wir wirklich im Lot. Zwei Pole, zwischen denen Leben erst entsteht - wie es auch in der Natur vorgesehen ist. Diese Prinzipien wirken auf vielen Ebenen – körperlich, emotional, geistig. Das männliche Prinzip steht für Aktivität, Klarheit, Struktur. Es zeigt sich in Mut, Willensstärke, Führungsfähigkeit. Es denkt nach vorn, setzt um, handelt. Das weibliche Prinzip hingegen wirkt leiser, aber nicht weniger kraftvoll. Es ist empfänglich, intuitiv, schöpferisch. Es fühlt, verbindet, hört zu. Es fragt, wo das männliche Prinzip bereits geantwortet hat.
In unseren derzeitigen Strukturen ist ersichtlich, dass es wenig Gleichgewicht gibt. Viele Frauen die (Selbst-)Verantwortung leben – sei es im Beruf oder in der Familie – erleben, dass sie vor allem die männlichen Qualitäten in sich betonen, um im System bestehen zu können. Stärke, Leistung, Kontrolle. Was jedoch häufig auf der Strecke bleibt, ist die eigene innere Balance. Die weiblichen Anteile – Intuition, Mitgefühl, Kreativität – werden zurückgestellt. Oft nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. Auch viele Männer, die (Selbst-)Verantwortung leben, spüren ein wachsendes Bedürfnis nach dieser anderen (weiblichen) Kraft. Nach einer Herangehensweise, der nicht nur auf Zahlen und Ergebnisse setzt, sondern auch auf Sinn und Verbindung. Doch in vielen Strukturen fehlt der Raum dafür. Männer, die sich im familiären Umfeld engagieren, werden noch immer selten als gleichwertig in Männerkreisen wahrgenommen – nicht selten sogar belächelt. Obwohl Elternzeit und Care-Arbeit auch für Männer zunehmend an Bedeutung gewinnen, bleibt ihr Anteil eher gering. Die Folge: ein unausgesprochenes Ungleichgewicht. In uns selbst, in unseren Rollen – und in unserem System.
Wo weibliche Qualitäten fehlen, wächst die Tendenz zur Kontrolle. Wer nicht fühlt, misst. Wer nicht spürt, strukturiert. Was mit gutem Willen beginnt, endet nicht selten in einem starren Korsett aus Effizienz, Zahlen und Anforderungen – oft verbunden mit der Angst, nicht mehr zu genügen. Balance entsteht nicht durch äußere Vorgaben, sondern durch innere Ausrichtung. Sie beginnt leise – mit einem Innehalten, einem Bewusstwerden. Vielleicht auch mit einer Frage: Wo in meinem Alltag darf es weicher werden? Wo darf Intuition mitentscheiden? Wo darf ich mir erlauben, nicht zu wissen, sondern zu lauschen?
Ganzheitliches und effizientes (Selbst-)Management setzt daher auf die Kraft durch die Verbindung beider Pole: Richtung und Resonanz. Analytisches Denken – und Einfühlungsvermögen. Zielorientierung – und inneren Halt. Und es braucht diese Balance, wenn sie wirklich schöpferisch sein will. Denn das, was wir im Management oft anstreben – Innovation, Weiterentwicklung, Zukunftsgestaltung – entsteht nicht im reinen Verwalten. Es entsteht dort, wo sich Intuition und Verstand die Hand reichen. Wo Ideen und Impulse nicht nur wahrgenommen, sondern auch kraftvoll in die Umsetzung geführt werden. Wo der Verstand zum Diener der Intuition wird. Wenn das weibliche Prinzip – als Quelle von Inspiration, Kreativität und Verbindung – in uns Raum findet, und das männliche Prinzip diese Impulse mit Struktur, Klarheit und Zielstrebigkeit in die Welt bringt, dann entsteht etwas Neues. Dann handeln wir nicht mehr reaktiv, sondern gestalten aktiv – mit Weitblick und Tiefe.
Schöpferisch gestalten: Ist das nicht genau das, was wir in der Gemeinschaft für uns alle wollen? Nicht verwalten, nicht kopieren – sondern formen, verändern, erneuern? Innovation entsteht selten im Alleingang. Sie braucht den Blick über den Tellerrand, das Verlassen des eigenen Kompetenz- oder Einflussbereichs. Das Miteinander - es ist ein weibliches Prinzip. Trennung und Abgrenzung hingegen gehören zum männlichen Pol. Beides hat seine Berechtigung – doch ohne das weibliche Prinzip fehlt der verbindende Aspekt, der uns über den Status quo hinausdenken lässt.
Balance in der (Selbst-)Verantwortung ist somit ein Weg und kein Zustand. Jeder kleine Schritt – jede Geste der Achtsamkeit, jede Entscheidung für mehr innere Klarheit warum wir uns so entscheiden – kann uns diesem Gleichgewicht näherbringen.
Literaturimpuls: Bourbeau, Lise (2009): Höre auf Deinen Körper und sei wie Du bist, S. 223-224)